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Sonnenlachen Schattenträume

Anthologie des Literaturkreises Judenburg

 

Inhalt

 

Vorwort

Ute Stefanie Strasser, Auslagenschauen 11

Reinhard Holzegger, Die Brücke 21

Renate Verena Schöffmann, Bikini 1 27

Karl Forcher, Der 2-Milliarden-Lindwurm 31

Karl Forcher, Leichtigkeit und Schwere 37, Zeitspanne 38

Jörg Gschaider, Herrmann 39

Renate Verena Schöffmann, Bikini 2 63

Reinhard Holzegger, Die Besucher 67, Das Fenster 68

Anna Diethart, Sonnenlachen und Schattenträume 69

Marianne Leersch, Wenn der Spatz zum Adler wird 89

Karl Forcher, Come Home, Happy Feet 107

Renate Verena Schöffmann, Bikini 3 111

Ute Stefanie Strasser und Renate Verena Schöffmann,

Ernsti und Ernst – ein Nachruf 115

Bridget Sabeth, Verwobene Leben bis in die Ewigkeit 123

Renate Verena Schöffmann, Bikini 4 145

Karl Forcher, Entleerung 16 Uhr 151

Karl Forcher, Das Licht 155, Abgrund 156

Renate Verena Schöffmann, Schattenträume 157

Reinhard Holzegger, Meine Zeit als Hospitalero 161

Ute Stefanie Strasser, Das alte Haus 165

Reinhard Holzegger, Die Kunst ein Buch zu schreiben 173


Vorwort

 

Soweit ich es recherchieren konnte, wurde der Judenburger Literaturkreis in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, also vor etwa dreißig Jahren, von Bernd Josef Flor (BJF) im Rahmen der Kunst- und Kulturwerkstätte Judenburg gegründet. Ich selbst bin erst seit 2015 dabei; im Anschluss an eine Aufführung im JuThe, kam ich mit Karl Forcher, einem Mitglied des Literaturkreises, ins Gespräch. Infolgedessen habe ich in dieser literarischen Runde eine freundliche Aufnahme gefunden.

Derzeit treffen wir uns einmal im Monat zum Stammtisch in einem privaten „Literaturhaus“, lesen einander vor, was wir in der Zwischenzeit geschrieben haben, und sprechen darüber. Wir sind Individualisten, jeder arbeitet in seinem Stil an seinem Projekt. Einmal im Jahr, im Frühsommer, treffen wir uns im wunderschönen Garten einer Literatin zum traditionellen Workshop, bei dem ein Thema vorgegeben wird, zu dem jeder etwas schreiben soll.

Die Idee des Workshops stammt noch von BJF. Vor mir liegt das Buch Workshoptexte 2005-2009 des Literaturkreises der Kunst- und Kulturwerkstätte Judenburg mit Beiträgen von sechzehn Autoren und Autorinnen; nur noch zwei davon sind im heutigen Kreis vertreten. Wohin die anderen verschwunden sind und ob sie noch schreiben, weiß ich nicht. Aber vielleicht möchte die eine oder der andere wieder bei uns mitmachen? Wir sind ein offener Kreis!

Die Idee einen Sammelband mit Texten von uns herauszugeben ist im Laufe unserer Stammtische entstanden. Aus den vorgeschlagenen Titeln wurde einer durch Abstimmung ausgewählt; bezüglich der Auswahl seines Beitrages war dann jeder frei.

Das obere Murtal ist, was Literatur betrifft, eine etwas kahle Gegend, wie man aus dem Österreich-Atlas zu literarisch-fotografischen Erkundungen entnehmen kann. Möge diese Anthologie helfen, Literatur – Schreiben und Lesen als Medizin gegen die Zumutungen des Schicksals und des Alltags – mehr in das Bewusstsein der hiesigen Bevölkerung zu rücken.

 

Judenburg, 31. März 2022

Ute Stefanie Strasser


 

Ute Stefanie Strasser

Auslagenschauen

(aus Bergstadt: Flanieren Spazieren Erkunden. Tirom-Verlag)

 

 

Schaufenster sind ein wesentlicher Bestandteil städtischer Fassaden, man kommt als Flaneurin oder Flaneur nicht umhin, sie zu beachten. In den Fünfzigerjahren war neben dem Fensterschauen das Auslagenschauen noch sehr populär; es gab ja weder Fernsehen noch Internet, also kein Schauen auf Bildschirme. Bei mir zu Hause gab es auch keine Kataloge mit den Waren, Schuhen und Kleidung, großer Kaufhäuser. Nur sogenannte Modehefte lieh sich meine Mutter bei einer Schneiderin aus, darin konnte man sehen, was modern ist oder in der nächsten Saison modern sein würde. Aber hauptsächlich orientierte man sich an dem, was in den Auslagen der Bekleidungs- und Schuhgeschäfte zu sehen war. Und das waren nicht nur die Waren, sondern auch die Dekorationen. Zum Beispiel standen bei den Winterstiefeln Eskimo-Puppen, ein kleiner Schlitten, ein Pinguin auf einem zugefrorenen See, den man aus Silberpapier gestaltet hatte; und neben dem Wintermantel und dem Wollkleid sah man mit Watte geschmückte – also quasi schneebedeckte Bäume, zwischen denen ein putziger Eisbär hervorlugte. Besonders hübsch waren alle Auslagen, nicht nur die der Schuh- und Bekleidungsgeschäfte, vor Weihnachten dekoriert. Es schien, dass die Geschäftsinhaber bzw. deren Dekorateure viel Mühe und Sorgfalt darauf verwendeten die schönste Auslage in der Stadt zu haben. Mindestens siebenmal im Jahr (Frühling Sommer Herbst Winter, Weihnachten Fasching Ostern) wurden die Auslagen neu gestaltet, aber schöne Auslagen schaute man sich gerne auch öfter an, ein Stadtbummel zum Auslagenschauen war eine beliebte Nachmittagsbeschäftigung.

Nun, das ist vorbei, aber angeblich findet derzeit, im Corona-Lockdown, richtiger: Shutdown, eine Renaissance des Schaufensterschauens statt. Das Standbild der Flaneure hieß ein Artikel in der Sonntagsbeilage der Kleinen Zeitung am 24. Januar 2021. Und darin wurde behauptet, mit den exzessiven Spaziergängern seien auch die Flanierenden, die sich treiben lassen und vor Schaufenstern verweilen, wieder zurückgekehrt. Susanne Breuss, Expertin für Alltags- und Kulturgeschichte des Wien-Museums, betont: Ein Schaufenster kann auch der Befriedigung ästhetischer Bedürfnisse dienen, es kann unterhalten, überraschen und die Phantasie beflügeln. Und damit meint sie wohl die Art der Warenpräsentation und die Dekorationen.

Ein Schaufensterbummler ist freilich kein echter Flaneur, so wie ich ihn definiere, denn der widmet keinem bestimmten Ausschnitt seiner Umgebung bevorzugte Aufmerksamkeit. Flanierende haben einen weichen umherschweifenden Blick, das Wieschen am Begrenzungspfosten, das Mauerblümchen vor abbröckelndem Putz, die verbeulte Regenrinne, der verlorene Handschuh auf dem Gehsteig sind ihnen genau so teuer wie der teure Mantel oder die kostbare Uhr in einer Auslage. Alles, was ist, ist betrachtenswert, unter anderem eben auch die Auslage / das Schaufenster.

Auf meinem Weg in die Stadt komme ich oft am CARLA vorbei, dem Secondhandshop der Caritas. Früher war an der Stelle ein Ledergeschäft, es hieß Weinmeister. Warum nicht Ledermeister, wunderte ich mich als Kind. Was dort in den Auslagen zu sehen war, Handtaschen Aktentaschen Gürtel, vornehmlich in Braun und Schwarz, seltener in Rot und Weiß, war lange nicht so interessant wie es nun die Waren in den ansprechend gestalteten Auslagen von CARLA sind. Welch eine Fülle! Aschenbecher Blumenvasen Plastikblumen Seidenblumen Papierblumen, Porzellanpferde mit und ohne Reiter, Porzellantänzerinnen Porzellanhündchen Milchkännchen Kaffeetassen Kaffeekannen Teegläschen Zuckerdosen Zuckerzangen Spitzendeckchen Jacken Pullover Mäntel, keine so fadenscheinigen wie der von Akakij Akakijewitsch, Hüte Mützen Taschen Taschentücher Gürtel Bügeleisen Körbe – und Bücher, ja auch Bücher, und …

Ich höre auf, denn: Schon – es ist eine Wirkung die Listen auf uns haben – fangen wir an zu gähnen. Aber wenn wir aufhören, so nur, weil der Katalog langweilig, nicht weil er zu Ende ist (Virginia Woolf). Es gibt bei CARLA nicht nur siebenundzwanzig, sondern mindestens neunundneunzig weitere Dinge, vielleicht käme ich auf Tausende, wäre ich so verrückt sie zu zählen. Und jedes Ding hat eine Geschichte, mindestens eine. Tausende Geschichten könnte ich hier einsammeln. Wie lange bräuchte ich wohl dazu? Ich glaube, meine noch verbleibende Lebenszeit würde nicht ausreichen.

Ich muss immer aufpassen, dass ich nicht zu lange vor diesen Auslagen stehe und dabei womöglich eine Geschichte zu einem gebrauchten Damenhut vor mich hin murmle oder flüstere, ja, ich muss aufpassen, dass ich da nicht zu lange stehe, denn man könnte mich alsbald als verrückt abstempeln: Da steht schon wieder die Verrückte vorm CARLA und redet mit sich selbst.

Ich staune nicht nur über die vielen Dinge, die ich in diesen Auslagen sehe, sondern auch darüber, dass ich an ihnen und zwischen ihnen nirgends auch nur ein kleinwinziges Waukerl sehe; Waukerl – kennen Sie nicht? Das sind die Kinder von Wollmäusen, diesen großen Flusen, manche nennen sie Lurch. Auch wenn man durch das CARLA spaziert, sieht man nirgendwo zwischen den vielen Dingen kleine oder große Flusen laufen, sitzen oder hängen. Aber in der eigenen Wohnung? Jedenfalls in meiner eigenen Wohnung – oje! Egal wie ich ihnen dort zu Leibe rücke, sie mit Wischtuch Besen Staubsauger bekämpfe, irgendwo flitzt immer wieder so ein Ding durchs Zimmer, oder gar viele, wenn die Sonne hereinscheint, da werden sie nämlich richtig lebendig.

Und Waukerl – meine Mutter sagte: Waukerln – hängen sich auch an Kleider. Wenn meine Mutter mich vor dem Weggehen mit schrägem Blick streifte, fand sie öfters ein Waukerl an Rock oder Pullover. Drah die um, sagte sie, du host do hintn a Waukerl! Ich musste stehenbleiben und mich umdrehen und sie zupfte es weg. Waren es mehrere Waukerln, nahm sie die Kleiderbürste zur Hand und bürstete mich ab. Ein Ritual, bevor sie mich in die Welt hinaus entließ.

Das CARLA verführt mich aber nicht nur zum Auslagenschauen, sondern auch zum Kaufen. Ich habe dort schon einige Tischtücher gekauft, wie neu, fleckenlos. Das leider bleiben sie bei uns nicht lange, bald haben sie Flecken, die nicht mehr weichen wollen. Was tun? Mit Bleichmitteln arbeite ich nicht gerne, und Salz bleicht zwar Rotwein doch Olivenölflecken eher nicht.

Apropos Rotwein, neulich schenkte mir mein Ehemann aus gegebenem Anlass folgende Zeilen: Als ich / bei dem Versuch / mit der Kelle / Suppe aus dem Topf zu schöpfen / mit dem Ellbogen / mein Rotweinglas / umstieß, / sagtest Du: / Ach Liebster! / Du bist / manchmal / so ungeschickt. Und weil der so entstandene Rotweinfleck entgegen meinen bisherigen Erfahrungen trotz intensiver Behandlung nicht weichen wollte, hatte ich folgende Idee: Ich könnte mir einen Stift kaufen, mit dem man auf Stoff schreiben kann, und neben diesen Fleck schreiben Schwarzriesling Hubert Dreikönig 2021. Auf diese Art und Weise könnte ich auch andere hartnäckige Flecken beschriften, zum Beispiel: Heidelbeersauce Ute August 2021. Auf diese Art erhielte ich einzigartige Tischtücher mit echter Patina, bunt und abwechslungsreich. Und wenn wir uns an so einem Tischtuch sattgesehen hätten, könnte ich dieses originelle Stück in ein Secondhand-Geschäft bringen oder es als Kunstwerk deklarieren und in der Rumpelkammer an die Wand hängen; oder wegwerfen. Und wenn eine Gästin oder ein Gast einen nicht mehr entfernbaren Fleck verursacht hätte, könnte ich ihr oder ihm das Tischtuch mit entsprechender Beschriftung zum nächsten Geburtstag schenken. Man weiß eh nie, was man Leuten schenken soll, die alles haben. Blumen passen nicht, lesen tun sie nicht, Süßigkeiten essen sie nicht, und eine Flasche Wein kommt unter Umständen nach einer Rundwanderung durch den Bekanntenkreis wieder zu uns zurück. Nein, danke. Aber so ein beflecktes und beschriftetes Tischtuch, das wäre doch ziemlich originell, nicht wahr? Es wäre mindestens so originell wie die von meiner Großmutter Ama bunt gestopften Socken, von denen ich früher schon einmal erzählt habe, und viel origineller als diese Geschirrtücher, auf denen Tortellini Ravioli Tagliatelle neben den dazugehörenden Abbildungen steht.

Außer CARLA gibt es noch ein Secondhand-Geschäft in unserer kleinen Stadt, den VINCI-Shop drüben in der Kaserngasse. Es gibt, nebenbei bemerkt, auch einen VINCI-Markt für Lebensmittel, den meine ich aber nicht, sondern den, der genau wie das CARLA außer Esswaren so ungefähr alles anbietet: Erste Wahl aus zweiter Hand! Hoppla, ich glaube das ist der Werbeslogan vom CARLA, da krieg ich hoffentlich keine Schwierigkeiten, weil ich ihn an dieser Stelle hier bringe. Ach was, ich lass ihn stehn, mal sehn. Er passt halt auch zum VINCI-Shop mit seinen hübsch gestalteten, oft neu dekorierten Auslagen und seiner Unmenge von Waren – Bücher und Schreibwaren, Spielzeug, Kleidung, Geschirr, Tischwäsche und Kleinmöbel. Putzmittel gibt es in der Regel weder bei CARLA noch beim VINCI, denn bei der Auflösung privater Haushalte, woher die beiden Geschäfte viele ihrer Waren beziehen, werden üblicherweise außer Lebensmittel auch Putzmittel im nächsten Verwandten- und Bekanntenkreis weitergegeben, oder in den Müll entsorgt. Deshalb findet man nur im Ausnahmefall einmal so etwas wie einen Drahtwaschl, einen Edelstahl-Topfreiniger, und den vermutlich als Folge der Auflösung eines einschlägigen Geschäftes und der Warenweitergabe in den Secondhand-Sektor.

Soweit ich das anhand der von mir in CARLA und VINCI besichtigten und gekauften Waren bislang feststellen konnte, ist alles immer gut erhalten und funktioniert, wie schon gesagt: Erste Wahl! Keine löchrigen Socken, keine Uhr, die manchmal geht und öfters nicht, keine unberechenbare Kaffeemaschine, die tagelang exzellenten Kaffee produziert, dann plötzlich ohne nachvollziehbaren Grund eines Morgens eine Brühe, die man wegschütten würde, hätte man das Koffein nicht so nötig.

Mindestens einmal die Woche spaziere ich zu den beiden Secondhand-Geschäften, schaue, was es Neues in den Schaufenstern gibt, gehe in die Geschäfte hinein und stöbere vor allem bei Glas und Porzellan. Manchmal sticht mir etwas ins Auge, ich nehme es zur Hand, betrachte es genauer, bin aber nicht sicher, ob es schön oder wenigstens originell ist, oder bloß Kitsch. Dann wünsche ich mir meine Freundin Monika herbei, denn sie hat bei solchen Dingen einen sichereren Geschmack als ich. Überhaupt fehlt sie mir in der kleinen Stadt, vielleicht auch einer der Gründe, warum ich hier nicht mehr so ganz heimisch werde. Zwar gibt es die elektronische Kommunikation – ich könnte, hätte ich ein Smartphone, die Teekanne fotografieren, ihr das Foto schicken und sie um ihre Meinung bitten. Aber das erscheint mir arg umständlich und wäre auch kein wirklich sicherer Weg einen Fehlkauf auszuschließen, denn Bilder können täuschen. Also kaufe ich die Teekanne, obwohl ich ihre ästhetische Qualität anzweifle und weiß, dass ich sie eigentlich nicht brauche. Doch sie ist ja so billig! Wie vieles hier! Also kann ich, die ich die Gewohnheit habe, jahraus jahrein knapp bei Geld zu sein, kann ich also – wie herrlich! – in diesen Geschäften meiner Bürgerpflicht nachkommen und konsumieren nach Herzenslust.

Doch ich muss etwas gestehen: So sehr ich gebrauchte und patinierte Dinge schätze, und das nicht nur wegen der niedrigen Preise, verliebt habe ich mich kürzlich in ein ungebrauchtes Milchkännchen in der Auslage des Haushaltswarengeschäftes gleich neben CARLA. Ja, ich habe mich verliebt in ein wunderschönes Kännchen von Alessi. Das ist jetzt keine Reklame, ich erwähne den Namen der italienischen Firma nur, damit Sie sich, wenn Sie möchten, das Kännchen anschauen und meine Verliebtheit nachvollziehen können – oder auch nicht. Ich habe das hochpreisige Kännchen gekauft – was hätte ich nicht alles bei CARLA dafür bekommen! Aber nein, ich habe es gekauft, denn ich halte es wie Oscar Wilde:  Ich brauche den Luxus. Auf das Notwendige kann ich verzichten.

Übrigens sitzt bei CARLA mit elegant übereinander geschlagenen Beinen eine lebensgroße Schaufensterpuppe in der Auslage, eine wie sie noch immer in Bekleidungsgeschäften üblich sind: blass und schön und androgyn, so dass sie je nach Bedarf als Frau oder als Mann bekleidet werden können. Ich betrachte diese Puppen mit Neugier und einer gewissen Abscheu. Franz Hessel, der Flaneur durch das Berlin der Zwischenkriegszeit, beschreibt sie als gespensterhaft. Interessant, was für Gesichter die wachsköpfigen Mannequins schneiden! Mit spitzen Mündern fordern sie dich heraus, schmale Augen ziehen sie, aus denen der Blick wie Gift tropft. Ihre Wangen sind nicht Milch und Blut, sondern fahles Gelbgrau mit grüngoldenem Schatten. Oft sind die angedeuteten Mienen von besonderer Verderbtheit, eine kühle Mischung von Frechheit und Distinktion, der du Armer nicht wirst widerstehen können.

 

Jahrelang ging mir eine Geschichte im Kopf herum. Sie handelt von einer Lehrerin im schon fortgeschrittenen Alter, unattraktiv und asexuell. Täglich geht sie auf dem Weg von und zur Schule an einer Auslage vorbei, in der, jeweils der Jahreszeit entsprechend gekleidet, eine Puppe steht – blass schön androgyn. Auch diese Lehrerin kann nicht widerstehen, immer öfter bleibt sie vor der Puppe in der Auslage stehen, erst kurz, dann lang und länger. Manchmal geht sie abends noch einmal hin, steht im Schatten, betrachtet die hell Ausgeleuchtete, nennt sie Regina und spricht mit der wächsernen Stummen. Und eines Tages kommt ihr der Gedanke, dass es doch möglich sein müsste, diese Puppe käuflich zu erwerben und mit nach Hause zu nehmen. Wie eine der Anziehpuppen aus Papier in ihrer Kindheit (Vorläufer der Barbie-Puppen) könnte sie Regina täglich oder wöchentlich neu bekleiden; könnte sie in einem Abendkleid neben den Weihnachtsbaum stellen oder mit einer großen Schürze in die Küche. Nachts könnte sie ihr ein Nachthemd anziehen und sie neben sich legen, sie schläft ja noch im Doppelbett ihrer Eltern, wo eine Hälfte immer leer bleibt. Die Lehrerin geht also in das Geschäft, kauft sich einen Pullover, so einen, wie ihn Regina gerade trägt, und erkundigt sich wie nebenbei, ob sie die Puppe kaufen könne. Die Verkäuferin lacht, geht zur Geschäftsführerin, fragt sie, die verneint es und lacht auch. Aber nun will die Lehrerin die Puppe unbedingt haben. Unbedingt! Deshalb schlägt sie – diese biedere Person, man kann es kaum glauben! – eines sehr späten Abends die Scheibe ein, was selbstverständlich nicht ohne Lärmentfaltung möglich ist. Hastig packt sie das begehrte Ding, das nun leider auch seinen Kopf verliert, der rollt davon, rollt und rollt auf die Straße. Sie rennt hinterher, ein Auto … Und? Den Schluss verrate ich nicht, weil ich, erstens, mich noch nicht zwischen unterschiedlichen Ausgängen entschieden habe, und weil ich, zweitens, die Geschichte vielleicht noch schreibe. Nur soviel sei gesagt: Lehrerin köpft Schaufensterpuppe – das wäre doch eine tolle Meldung für eine Boulevard-Zeitung wie die KRONE.

 

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