Etappe 2 – Der Weg des linken Knie. (Neu überarbeitet)

22.05.2014 – Auch dieser Weg war wieder von Schmerzen geprägt. 25 Kilometer von Roncevalles bis Zubiri.

Um 6:00 Uhr ist Tagwache im Kloster von Roncesvalles und der Saal beginnt zu leben, sowie er gestern Abend um 22:00 Uhr damit aufgehört hatte. Obwohl müde, von den Strapazen über die Pyrenäen, war es eine unruhige Nacht. Dem Schnarch Orchester konnte ich durch meinen nie versiegenden Vorrat an Ohrstöpseln noch einigermaßen entkommen, auch der unangenehmen Kühle die meinen Körper erfasste. Aus Platzgründen musste ich auf einen Schlafsack verzichten und begnüge mich mit einem Seiden Inlett. Um der Kälte Herr zu werden, zog ich meine Klamotten an und warf den Rest meiner Ausrüstung, der nur irgendwie Wärme spenden konnte, über mich. Zum krönenden Abschluss dieser Nacht sorgte dann ein stechender Schmerz in meinem linken Knie.

 

Während mich der Camino gestern noch versuchte abzuwerfen, hält er nun das erste Wunder bereit. Je zwei Waschbecken und zwei Toiletten für das weibliche und das männliche Geschlecht, stehen für 55 Pilger zur Verfügung und es gibt keine Wartezeiten davor, nicht nennenswerte. Es grenzt an ein Wunder. Ich bin wieder einer der letzten die das Nachtlager verlassen und starte bei 10 Grad Außentemperatur und aufgeklartem Himmel, in die heutige Etappe, die mich bis nach Zubiri bringen soll. An einem kleinen Kaufhaus hole ich mir Obst und ein frisches Baguette, als Wegzehrung. Kurz darauf hat der Himmel seine Pforten wieder geöffnet und es beginnt zu regnen und der Regen wird heute mein Begleiter sein, nicht ständig, aber doch spürbar. Ein nur kurzes, stark abfallendes Wegstück, wirft mich aus der Bahn. Ein stechender Schmerz durchdringt mein linkes Knie, noch schlimmer als er sich bereits in der Nacht zuvor angekündigt hat, so als würde mir jemand die Bänder und Sehnen herausreißen. Ich weiß nichtmehr wie lange ich an dieser Stelle gestanden bin. Ich erinnere mich noch der zahlreichen „Buen Camino“ rufe, der Gruß auf dem Jakobsweg und ich beneidete die Leute die an mir vorübersprangen. Sollte mein Weg bereits hier sein Ende gefunden haben? Irgendwie schaffte ich es doch, über diese Böschung nach unten zu kommen. Danach ging es flach weiter und nun halten sich die Schmerzen wieder in Grenzen.

Um 10:45 Uhr erreiche ich Bizkarreta und habe schon die Hälfte meines für heute vorgenommenen Trails absolviert. Dort lerne ich Anna kennen, eine 44-jährige Deutsche. Sie geht ebenfalls alleine den Camino, aber nur bis Burgos, mehr erlaubt ihr Urlaubsplan nicht, erklärt sie mir. Ich bin nicht besonders Gesprächig, mein Bein lenkt mich zu sehr ab und wir trennen uns wieder. Nach dieser Verschnaufpause erwartet mich ein steiler Anstieg. Er ist schon von weitem einsehbar. Er bereitet meinem Knie auch keine sonderlichen Probleme, aber auf der anderen Seite wird es unweigerlich wieder abwärts gehen und das macht mir Angst. Trotz meiner Knieprobleme überhole ich der Reihe nach Pilger. Mir fällt dabei auf, dass der Altersdurchschnitt doch um vieles jünger ist, als ich mir gedacht habe. Nur wenige ältere Menschen als ich, viele in meinem Alter und sehr viele die um einiges jünger sind als ich. So auch Ashley und Sara, die gerade ihren menschlichen Bedürfnissen nachgekommen sind und sie auch beendet haben, als ich des Weges komme. Ashley ist 19 und Sara 20, beide kommen aus Kanada und haben sich erst gestern in Roncesvalles kennengelernt. Das Bild, das ich mir zu Hause gemalt habe, stimmt nicht mit dem, das ich hier vorfinde überein. Es hat sich was den Altersschnitt betrifft, doch sehr stark nach unten verschoben, auch kommt es mir vor, dass ein Großteil das Unterfangen Jakobsweg alleine angetreten hat. Dann ein Wegweiser: 7 Kilometer bis Zubiri und es geht abwärts. Meine Befürchtungen treten ein. Ich versuche mein linkes Bein so wenig als nur möglich zu belasten, was auf diesem unebenem Terrain nur bedingt einzuhalten ist. Ich habe die letzte halbe Stunde keinen Menschen mehr gesehen, nicht einmal Radfahrer sind an mir vorbeigefahren. Ich quäle mich talwärts und fühle mich einsam und verlassen.

War es erneut ein Wunder? In diesem Augenblick ist es mir jedenfalls so vorgekommen. Ich stoße auf einen älteren Spanier, um die sechzig. Er bemerkt mein Humpeln und spricht mich an. Ich verstehe ihn nicht. Er spricht nur Spanisch, kein Englisch und schon gar kein Deutsch. Es ist die Zeichensprache mit der wir uns verständigen. Er deutet mir, mein Bein anzuwinkeln und zu strecken. Es ist mir nicht möglich und er verzieht sein Gesicht. Mir wird heiß und ich habe die schlimmsten Befürchtungen. Er besteht darauf, dass ich einen der beiden Trekkingstöcke von ihm nehme und tatsächlich, es hilft. Ich kann damit mein Bein entlasten. Wir schließen zu seiner Frau auf, die einige Meter vor ihm geht. Sie spricht etwas Englisch und übersetzt mir, die mit wilden Gestikulierungen ausgeführte Sprache ihres Mannes. In Zubiri gibt es einen Arzt, den muss ich unbedingt aufsuchen, auch ein Sportgeschäft, ich benötige in jedem Fall einen Stock.


Durch eine Lichtung sehe ich Häuser im Vordergrund und mit einmal verstehe ich die Sprache des Spaniers. „Zubiri“, sagt er und ich verspüre Erleichterung. Auch wenn ich mir heute früh noch nicht ganz sicher war, hier halt zu machen, jetzt bin ich es und ich umfasse dankend mein Knie. Mit einem „Gracias“ lasse ich das spanische Ehepaar hinter mir und stürme regelrecht über die Brücke, die in den kleinen Ort führt. Er zählt 420 Einwohner und die Unterkünfte sind jetzt schon um 13:30 Uhr, gut gefüllt. Ich bekomme nach ein paar Leerläufen doch noch ein Bett, für 8,00 Euro. Nichts Besonderes, Platz für 48 Pilger in Stockbetten, auf zwei Räume verteilt. Bad und WC befinden sich über dem Hof, es ist sauber. WIFI Anschluss gibt es keinen, den werde ich aber sicherlich in einem der Restaurants am Abend bekommen. Zuvor heißt es aber noch mein Knie zu versorgen. Laut Anweisung des Mannes an der Rezeption, finde ich auch sofort den richtigen Weg. Der Doktor ist eine Ärztin und ich habe Glück, sie ist sehr nett und verlängert für mich sogar die Ordinationszeit. Weniger Glück haben wir beide mit der Sprache, aber welche Probleme wird ein Pilger schon haben und ich bin sicherlich nicht der erste, der auf ihrer Liege Platz nimmt. Ich bekomme eine Spritze für die akuten Schmerzen und dann noch Tabletten für die nächsten Tage verschrieben. Die Abwicklung erfolgt über meine E-Card, ganz einfach. In der Zwischenzeit hat sich die Albergue bis auf das letzte Bett gefüllt. Bekannt ist mir nur Pedro, ein 28-jähriger Brasilianer. Er hat ebenfalls Schwierigkeiten mit den Beinen, scheut sich aber zum Arzt zu gehen, da hilft auch kein gutes Zureden. Die Apotheke und das Sportgeschäft öffnen um 17:00 Uhr, genügend Zeit noch um zu duschen und die Ausrüstung in Ordnung zu bringen.


Nachdem ich die Tabletten abgeholt habe, suche ich das Sportgeschäft auf. Ein kleiner Laden und der Besitzer spricht ein recht gutes Englisch. Er bietet mir einen Trekkingstock an, den er für 15,00 Euro im Angebot hat und ich kaufe auch noch ein Paar Trekkingsandalen, Marke Teva, für unglaubliche 39,00 Euro. Ein wahres Schnäppchen, ich habe sie zuhause beim Durchforsten im Internet nicht unter 50,00 Euro gefunden und hier in diesem Dorfladen, der von Pilgern aus aller Herren Länder durchströmt wird, für lumpige 39,00 Euro. Der Verlust meiner anderen Sandalen in Paris schmerzt jetzt weniger und es ist auch ein Beweis dafür, dass die Pilger nicht ausgenommen werden und dies bestätigt sich auch beim Abendessen, ganz anders als in Saint Jean Pied de Port, also noch auf der französischen Seite des Camino Frances. Ich habe einen Wireless Internetzugang im Restaurant und verbringe den Abend damit, meine heutigen Eindrücke für meine Familie und Freunde zu Hause, auf meiner Homepage transparent zu machen. Es ist spät geworden. Um 22:00 Uhr werden die Türen der Albergue geschlossen, ich muss mich also sputen. Morgen möchte ich bis Pamplona kommen, sofern es mein Knie erlaubt.

Erkenntnis des Tages. Gerne wäre ich reich an Sprachen.

Tag 3: Pamplona

Die nachfolgenden Bilder sind in der Reihenfolge der Aufnahme gelistet, also dem Wege von Roncesvalles bis Zubiri.

 


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