Santiago de Compostela – Samstag:

Ich sitze gerade in einer Bar, nur wenige Meter von dem Hostel entfernt in dem ich auch gestern genächtigt habe. Es hat heute doch noch mit einem Bett geklappt. Ich muss nur das Stockwerk wechseln und nochmals danke an, ich weiß den Namen nicht, tut mir leid. Wer meint, dass die Freundlichkeit und die Bemühungen bei 18 Euro in einem Hostel, gegenüber 70 Euro in einem Hotel ausbleiben, liegt falsch. Ich teile lediglich das Zimmer mit 3 anderen Personen.

 

Ich sitze am Fenster der Bar und sehe dem Regen zu, es wird jetzt richtig heftig. Die Straßen sind plötzlich leer, nur Regen spritzt von den Pflastersteinen hoch. Ein kleines Bächlein bildet sich inmitten der abfallenden Straße und fliest in Richtung Kathedrale, außen rechts vorbei. Ich komme mir gerade vor wie Ernest Hemingway, in einer Bar sitzend und schreibend. Vermutlich war es ein Ort wie dieser der für die Inspiration in Hemingways Gedankenzentrum sorgte, so wie mir gerade jetzt. Ich denke an die sechs Peregrinos die im Jahre 1134 aus unterschiedlichen Orten und aus unterschiedlichen Beweggründen, aufgebrochen sind, nach Santiago de Compostela, um sich und die Seinen ins Reine zu bringen. Die den Strapazen über den Pyrenäen ebenso ausgesetzt waren wie ich zu Beginn meiner Reise. Deren Habseligkeiten nicht in mindesten den meinen entsprochen haben, die gefroren haben und die durchnässten Kleidungsstücke, nicht in einer wohlwarmen Herberge haben trocknen können. Ich sehe eine Mutter mit ihren beiden Kindern, Julian und Flore, 10 und 11 Jahre alt, in eisiger Regengischt, über die Pyrenäen ziehen, alleine und fernab jeglicher Geborgenheit, in Finsternis und Kälte nächtigend und sämtlichen Gefahren jener Zeit preisgegeben. Ich gehe fast 900 Jahre später den selben Weg, ich habe Wegweiser, neben mir gehen gleichgesinnte Menschen und machen mir Mut, helfen mir weiter wenn die Schritte schwer werden und ebenso spreche ich ihnen Mut zu, wenn deren Schritte schwer werden. So könnte der Roman „The 6 Peregrino“ beginnen, ein Zeitensprung über 1000 Jahre in die Vergangenheit und der sich in diesen Tagen zu schließen beginnt. Der Weg der damals nicht zu Ende gegangen werden konnte, muss jetzt zu Ende gegangen werden. Das Schicksal von 6 Menschen, dass vor 880 Jahren begonnen hat, kann jetzt zu Ende geschrieben werden. Der Camino erzählt jedem eine Geschichte, aber vielleicht ist es gerade diese Geschichte die an die Öffentlichkeit will, die gehört werden will, unter so vielen kleinen und auch großen Geschichten des Camino Francés.

 

Ich habe bisher Kurzgeschichten geschrieben und Artikel im Finanzbereich verfasst und so unterschiedlich diese beiden Themen sind, so haben sie eines gemeinsam, es hat niemanden interessiert. Vielleicht ist es an mir, die Geschichte der 6 Peregrinos zu schreiben, ein Gedankengut das nicht des meinen ist, dass aber beinahe 900 Jahre lang bedurfte des meinen zu werden und mich dazu bestimmt hat, sie zu euren zu machen, in Gedenken an Julian und Flore und ihren 4 Freunden.

 

Ich sehe aus dem Fenster und sehe 3 Mädchen, sie freuen sich, umarmen sich und fotografieren sich, sie sind bestimmt den Camino gegangen, ich weiß nicht wie weit, vielleicht nur ein kleines Stück und ich bin mir sicher es bedarf nicht immer großer Wege um großes zu empfinden, auch der kleinste Weg, wenn er mit Freude gegangen wird, kann so vieles erreichen. Ich sehe aus dem Fenster und sehe Rauch, 70 Jahre die das Leben beobachten. Ein Mann und seine Zigarre. Ich vermag nicht die Gedanken dieser 70 Jahre zu erblicken, aber ich sehe 880 Jahre in die Vergangenheit, ich sehe 6 Pilger.

 

Der Abschied

 

Meinen Roman habe ich mittlerweile vollendet. Eine Leseprobe finden sie hier.


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